HR vs. People & Culture

Agile HR

warum wir immer noch von HR sprechen

Vor einigen Jahren startete der Trend, dass einige Organisationen damit anfingen, ihre HR Abteilung in “People & Culture” umzubenennen. Das finde ich sehr spannend. Und ich möchte vorweg schicken, ich finde den Titel gar nicht schlecht. Nur habe ich mich dann gefragt, was die Beweggründe dafür sind und ob diese Umbenennung notwendig ist oder tatsächlich Sinn macht. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, mich etwas eingehender mit dem Thema zu befassen und meine Erkenntnisse in Form dieses Blogposts zu teilen. Ich beanspruche für meinen Post weder eine Alleingültigkeit meiner Meinung, noch einen Vollständigkeitsanspruch für die Behandlung des Themas. Vielmehr sehe ich dies hier als Einladung zum Dialog und freue mich auf jede Reaktion zu dem Thema. 

Ich konnte einige Gedankengänge zum Thema “HR vs. People & Culture” identifizieren, die in verschiedenen Publikationen mehrfach genannt wurden. Die, die mir häufiger begegnet sind und ich besonders bemerkenswert fand, werde ich hier kurz skizzieren. Zusätzlich gebe ich eine Einschätzung dazu, für wie sinnvoll ich die jeweiligen Ansätze und Begründungen für diese Umbenennungs-Bestrebung halte. Und ja, der Titel dieses Posts gibt bereits einen Hinweis auf mein Resümee. Aber dennoch, versucht mal ganz unvoreingenommen zu lesen und es auf Euch wirken zu lassen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich werde mich hier nicht mit der generellen Thematik befassen, ob “Human Resources” die bestmögliche Bezeichnung für die Personalarbeit an sich ist. Dies ist ebenfalls ein sehr spannendes Thema und vielleicht schreibe ich darüber an anderer Stelle. Hier soll es tatsächlich nur um die Abgrenzung des Begriffs “Human Resources” zu “People & Culture” gehen.

Um sich dem Thema zu nähern, ist es wichtig, es in den Kontext zur allgemeinen Entwicklung von HR zu setzen. Folgendes lässt sich feststellen: HR ist im Wandel! Und das ist gut so. Viel zu lange hat sich in dem Bereich viel zu wenig getan. International ist vielleicht etwas mehr Bewegung zu vermerken als in Deutschland, aber eine richtige HR Innovation, die weitreichende Veränderungen mit sich gebracht und sich nachhaltig etabliert hätte, gab es schon lange nicht mehr. 

Mit der Erkenntnis, dass die Welt im Wandel ist und Organisationen nun gezwungen sind, diesem Wandel zu begegnen, ist auch eine gewisse Aufbruchstimmung im Bereich HR festzustellen. Getrieben von der gefühlt nicht enden wollenden Digitalisierung und Begriffen wie “VUCA”, “Agiles Arbeiten” und “New Work”, realisiert auch HR langsam, dass es Zeit wird, aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen, um sich neu zu positionieren.

Ich möchte nicht behaupten, dass HR in den letzten Jahren und Jahrzehnten tatenlos oder ineffektiv war – ganz im Gegenteil! Als HR Praktiker weiß ich selbst ganz genau, wie hart diese Arbeit ist und das “wir” (HR) immer versuchen, das Beste für die Organisationen und Mitarbeiter, für die wir tätig sind, zu erreichen. Nur wirkliche Innovation, die HR als Ganzes betroffen hätte, fand aus meiner Perspektive eben schon sehr lange nicht mehr statt.

Ob meine Wahrnehmung hier korrekt ist, ließe sich bestimmt lang und breit diskutieren. Dessen bin ich mir bewusst und das ist auch absolut ok. Warum es sich aus meiner Sicht so anfühlt, werde ich hier kurz und vereinfacht ausführen: Die Praktiker*innen sind mit praktischer Arbeit beschäftigt und finden zu wenig Zeit um an Innovationen zu arbeiten. Die “Innovator*innen” sind oft nicht genug mit der Praxis beschäftigt, bevor sie anfangen, HR Neuerungen zu entwerfen und zu formulieren. Dies ist dann eine mögliche Erklärung, warum eine eher geringere Adoptionsrate der angebotenen “Innovationen”, auf Seiten der HR Praktiker zu verzeichnen ist. 

An dieser Stelle möchte ich nur noch einmal betonen, dass ich nicht sage, dass es gar keine Innovationen im HR Bereich gibt, aber eben keine global relevanten, die die ganze HR Funktion betreffen. Deshalb will ich auch gar nicht verneinen, dass es nicht Innovationsbestrebungen gibt und gab – sie fruchten aus meiner Sicht nur nicht ausreichend, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein. 

Vor diesem Hintergrund stößt es dann auf mein verstärktes Interesse, wenn ein neuer Name für HR an den Start geht, der sich zwar noch nicht flächendeckend durchgesetzt hat, aber doch in verschiedenen Ecken der Welt auftaucht und Zuspruch findet.

Wie in der Einleitung beschrieben, werde ich exemplarisch ein paar der am häufigsten zu findenden Argumente für die neue Bezeichnung aufführen und diese dann einzeln erörtern. Los geht es.

  1. HR muss raus zu den Mitarbeitenden und darf nicht (länger) im Büro sitzen.

Abgesehen davon, dass ich diese Art von Aussagen nicht mehr hören kann, könnte ich nicht mehr zustimmen. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass dies nicht mehr als ein Allgemeinplatz ist, dem wegen seiner Beliebigkeit die meisten Kolleg*innen zustimmen würden. 

Die Zeiten von reiner Personalverwaltung sind ja nun Gott sie Dank schon lange vorbei. Und auch wenn ich nicht ausschließe, dass HR in manchen Organisationen immer noch so gehandhabt wird, ist doch die Erkenntnis, dass HR die Arbeit am und mit den Mitarbeitenden sein soll, inzwischen wirklich Usus. 

In Organisationen mit einer HR Matrix gibt es mit dem Tandem aus HR Services und HR Business Partnern sogar eigene Rollen dafür. In kleineren HR Abteilungen übernehmen diese Arbeit die Generalisten, Personalreferent*innen und HR Manager*innen. 

“Machen sie eben nicht!”, werden jetzt vielleicht manche antworten. Aber selbst wenn dem so wäre, liegt es hier wohl tatsächlich eher an einem Ressourcenproblem (zu viele Mitarbeitende, auf zu wenige HR Fachkräfte) und nicht an dem falschen Selbstverständnis der Rolle.

Wie eine reine Umbenennung der Abteilung hier nun Abhilfe schafft, leuchtet mir nicht ein.

  1. HR muss weg von Handbüchern und Gesetzen und die Kultur in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellen

Auch keine ganz so neue Idee. Und es stimmt, je nachdem in welchem Staat man sich befindet, kann der Anteil von “Policies & Procedures”, in der Tat oft sehr viel Raum in der HR Arbeit einnehmen. Und vielleicht besteht ja sogar realistisch gesehen etwas Potential, den Fokus von HR noch etwas weiter in Richtung Kultur zu verschieben. Aber wenn wir ehrlich sind, wird zumindest der Bereich Gesetze immer ein Teil der HR Arbeit sein. Wo sollte die Betreuung von Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsrecht sonst sitzen? Auch ein HR ohne jegliche Strukturarbeit oder Personaladministration halte ich für utopisch.

In vielen HR Abteilungen, die ich kenne, gibt es zumindest schon eine Aufteilung dahingehend, dass dieser gesamte Bereich von Spezialist*innen, von einem HR Operationsteam, übernommen wird. Wie sieht es dann mit diesen Kolleg*innen aus? Handelt es sich bei ihnen um HRler*innen zweiter Klasse, weil sie sich nicht schwerpunktmäßig mit Kultur befassen können?

Ich verstehe natürlich was mit dem Satz gemeint ist. Allerdings glaube ich nicht, dass eine Trennung der HR-Funktion, eine künstliche Aufteilung ihrer Kernfunktionen, eine Verbesserung bringt. 

Die Kultur in einem Unternehmen zu bestimmen und zu formen ist nicht alleinige Aufgabe von HR. Wie sollte das auch möglich sein? HR kann aber sehr wohl eine starke Rolle dabei spielen, wenn es darum geht, Kultur zu pflegen und gemeinsam mit allen Mitarbeitenden für eine lebendige Umsetzung zu sorgen. Vielleicht bin ich mit meinem HR Verständnis zu weit voraus, aber ich frage mich, wann das in der “modernen” HR jemals nicht der Fall gewesen ist?

Auch hier diente die Umbenennung in “People & Culture” also eher einer Beschreibung des Tätigkeitsfelds, als einer Veränderung zu etwas ganz Neuem. Und eine Verschiebung des Schwerpunktes findet durch einen neuen Namen auch nicht statt.

  1. Millennial- und GenZ-Talente entscheiden sich im Zweifelsfall für eine Organisation mit stärkerer Kultur. In der Folge muss dies im Namen der Personalabteilung reflektiert sein.

Von allem was ich bisher zu diesen beiden Generationen verstanden habe, trifft das absolut zu. Umso wichtiger, dass Organisationen heute im Bereich starke Unternehmenskultur punkten. Ich habe also keinen Zweifel an der Richtigkeit des ersten Teils der Aussage. Es ist hinlänglich bekannt, dass die genannten Generationen, die einen wachsenden Anteil an der Arbeitnehmer*innenschaft ausmachen, mehr wertebasiert entscheiden als vorangegangene Generationen. Eine Organisation zeigt mit ihrer Kultur wie ihre Werte gelebt werden. Wird diese Kultur wirksam kommuniziert, wirkt Organisation A mit Sicherheit anziehender auf junge Talente, als Organisation B, der dies nicht so gut gelingt. Dies macht einen entscheidenden Unterschied, vor allem wenn die beiden Organisationen intern von vergleichbarer Qualität sind. So weit so klar.

Was mir nicht klar ist, ist wie die reine Umbenennung von HR in People & Culture hier einen Vorteil verschafft. Ich habe gelesen, dass der Fakt, dass Bewerber*innen mit jemandem vom “People & Culture Team” und nicht mit einem/er Kolleg*in vom “HR Team” während des Bewerbungsprozesses Kontakt haben, einen relevanten Vorteil verschafft. Denn eine Abteilung die sich “People & Culture” nennt, würde sofort ein klares Signal über den Stellenwert des Menschens und der Arbeitskultur in der Organisation senden. Wenn es doch nur so einfach wäre.

In der letzten Dekade, in der ich wöchentlich an Bewerbungsprozessen von jungen Talenten beteiligt war, ist mir nicht ein Fall bekannt, bei dem wir ein Talent nicht überzeugen konnten, bei uns zu starten oder einen Bewerbenden verloren hätten, weil dieser mit uns von HR kommunizieren musste und wir uns nicht als “People & Culture” Mitarbeitende ausweisen konnten.

Eine Organisation mit starker Kultur ist dann in der Lage dies als Attraktivitätsfaktor zu nutzen, wenn die Kultur klar und authentisch nach außen gelebt wird. Die wenigstens HR Abteilungen dürften – Stand heute – bereits so weit sein. Auf mich wirkt es daher so, als wäre es nur der Teil einer neuen Kommunikationsstrategie, diese Umbenennung in “People & Culture” als modernes Label zu nutzen, was gerade Mitarbeitende der neuen Generationen in kürzester Zeit in der neuen Stelle angekommen, enttarnen können.

  1. Last but not least: Die gesamte Personaladministration wird in naher Zukunft von Robotern übernommen werden…

…und deshalb retten wir uns alle auf die “gute” Seite von HR und fangen schon jetzt an nur noch “People & Culture” Arbeit zu machen. Oder habe ich das falsch verstanden? Ist irgendwie der einzige Sinn, den ich in diesem Zusammenhang in diese Aussage reinbasteln kann.

Es wäre nur zu schön, wenn ich das tatsächlich noch erleben dürfte. Die rechtssichere und gut funktionierende, vollständige Auslagerung der gesamten Personaladministration an die Technik oder eben Roboter. 

Ich bin ganz klarer Digitalisierungs-Befürworter und -Enthusiast. Und genau deshalb habe ich ein relativ gutes Verständnis davon, wo wir uns gerade befinden mit der Digitalisierung von HR. Kurz gesagt, wir haben noch ein gutes Stück des Weges vor uns. Und wenn es bis zu den “Robotern” (ich nehme es hier mal wörtlich) genauso lange dauert, wie wir Zeit brauchen, um Personalakten flächendeckend zu digitalisieren, dann werden wir HR noch einige Male umbenennen können, bevor es soweit ist.

An dieser Aussage ist viel interessanter, dass das eigentliche Problem in einer so drastischen Neuerung völlig ausgeblendet wird: 

Bleibt wirklich nur noch “People & Culture” Arbeit übrig? 

Wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit von denen weitergeführt, die sie jetzt schon machen? 

Was aber passiert denn in einer Welt, in der ein Großteil der jetzigen HR Arbeit automatisiert ist?

Was passiert dann mit den ganzen Kolleg*innen, die schwerpunktmäßig ihre Zeit im administrativen Bereich von HR verbringen? 

Vielleicht ist diese Entwicklung unausweichlich, aber dann fände ich es viel spannender zu überlegen, wie wir damit umgehen wollen, auch kulturell, wenn unsere Funktion Gefahr läuft, zu einer elitären Kaste zu schrumpfen. 

Vielleicht lässt sich ganz gut erkennen, dass ich einige Vorbehalte zu dieser Namensänderung habe. Und das obwohl mir der Titel “People & Culture”, wie bereits gesagt, gut gefällt. Meine Ablehnung sehe ich auch ohne jeden Dogmatismus. Ich bin nicht gegen Veränderungen, ganz im Gegenteil. Viele der Gedankengänge oder Beweggründe, die ich zu dieser Umbenennung gefunden habe, gehen auch in die richtige Richtung. Für mich behandeln sie aber Symptome und nicht das eigentliche Problem.

Um also das “Alter Wein in neuen Schläuchen”-Problem zu vermeiden, sollten wir uns zunächst angucken, was wir in HR wirklich ändern müssen. 

Wo müssen wir umdenken?

Wie müssen wir uns neu aufstellen? 

Und dann, wenn wir das getan haben, können wir uns ein neues Label geben, das besser und klarer transparent macht, woran und mit wem wir arbeiten. 

Es stiftet aus meiner Sicht unnötige Irritation erst den Namen zu ändern und dann zu versuchen, dem neuen Begriff gerecht zu werden. 

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